HOMEPAGE / JANNULIS TEMBRIDIS

Ausstellung "MIKROKOSMOS", 1998

 

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Ausstellung Mythen und Sagen , 1992
Ausstellung Mikrokosmos , 1998
Ausstellung 2000 en Colombia , 2000
Ausstellung Skulpturen in der Klosterruine , 1995

Der "MIKROKOSMOS" des Jannulis Tembridis

Von Silke Dähmlow und Andreas Butter

Wenn man mich bitten würde, spontan einige "typisch griechische" Berufe zu
nennen, würden mir zuerst folgende drei einfallen: Erstens Philosoph,
zweitens Reeder, drittens Bildhauer.
Erstens ist die Struktur unseres europäischen Denkens wesentlich von
Gelehrten mitbestimmt worden, die dort unten vor 2500 Jahren bereits den
Aufbau der Welt aus Atomen postulierten. Zweitens findet man griechische
Schiffe, ob sie nun einem Odysseus gehörten oder einem Onassis, auf allen
bekannten Meeren der Welt. Und drittens kommt bereits das Wort Marmor aus
dem Griechischen; ins Deutsche uebersetzt heisst der Stoff, aus dem die
Statuen sind, ganz prosaisch "gebrochener Kalkstein".
Jannulis Tembridis, der in Radebeul geborene Grieche meint, in Griechenland
könne er nicht als Bildhauer leben - dort gäbe es kein Entkommen vor der
Antike und ihren Erben.

Beinahe zehn Jahre sind seit seiner ersten Ausstellung vergangen. Im August
1988 stellte er nach seinem Abschluss an der als besonders anspruchsvoll
geltenden Kunsthochschule Weißensee erstmals seine Werke hier in Seelow
vor. So könnte man sagen, dass es in diesem Jahr ein Kuenstlerjubiläum zu
feiern gibt. Nun wird aber gerade an den Arbeiten dieses Mannes deutlich,
dass wir hier jemanden vor uns haben, der nicht in kalkulierter und brav
erlernter Gefälligkeit ein Gewerbe begann, sondern einen Vollblutkünstler,
der aus innerer Notwendigkeit heraus zum Ausdruck getrieben wird - ein
Schicksal, das sich nicht an Daten festmachen lässt. Natürlich gab es auch
fuer ihn so etwas, wie die "akademischen Kinderschuhe". Denen ist er aber
längst entwachsen. Gereift in in der Durchdringung der Themen und mutig in
der seiner Formensprache zeigt das Werk von Tembridis die
Auseinandersetzung mit den verschiedensten Aspekten des menschlichen
Lebens.

Dabei ist, trotz aller Distanz zu den idealen Körpern der griechischen
Klassik der Grieche Tembridis stark geprägt von den Impulsen aus der Heimat
seiner Familie. Als Sohn von Emigranten, die nach dem Bürgerkrieg Ende der
vierziger Jahre das Land verlassen hatten, ist er in der DDR aufgewachsen
und konnte erst 1986 seinen Fuss auf griechischen Boden setzen. Mehrmals kam
er wieder, ohne fuer immer zu bleiben. Seine Sehnsucht nach diesem Land ist
fuer Deutsche, deren Romantiker schon seit zwei Jahrhunderten "das Land der
Griechen mit der Seele suchten" verständlich - besonders fuer DDR-Hippies,
die versuchten, wenigstens bis zum Pirin-Gebirge zu pilgern, von dem man
angeblich hinuebersehen kann. Die Suche eines Fremden nach der Heimat hat
Tembridis mit dem alten Odysseus gemein.
Griechenland wurde fuer ihn zur Inspirationsquelle fuer seine Werke: Die
Marmorbrocken, tiefblauen Buchten und das gleissende Licht, fremd und
vertraut zugleich. Eine Inspirationsquelle, der sich der Künstler aber
niemals zu lange aussetzen mochte. Wer das "griechische" in seiner Arbeit
sucht, wird genau hinschauen müssen. Beeindruckt haben ihn nicht nur die
Marmorblöcke an der Ägäis, sondern auch die grauen Findlinge aus der
märkischen Heide: Beide Arten von Gestein bildeten sich mit Kanten und
Buckeln, die fuer ihn Herausforderung sind, einer scheinbar im Material
immer schon schlummernden Figur zur Form zu verhelfen.

Mit seinen Worten: Er sucht in den Steinen "ihr wirkliches Gesicht."
Aristoteles würde es vielleicht "Entelechie" nennen - die, nach Meyers
Lexikon, "in einer bestimmten Wirklichkeit angelegte Möglichkeit". Womit
der Bogen gespannt wäre zur Philosophie und der Bildhauerei als
Erkenntnisakt. Auch seinen Tonplastiken ist dieses Suchen nach einer
innewohnenden Struktur eigen, die über das Figürliche hinausgeht. Menschen
stehen im Mittelpunkt des "Mikrokosmos" von Tembridis. Doch es sind nicht
so sehr die perfekten, der steinernen Materialität abgerungenen Statuen der
griechischen Blütezeit, auch wenn diese ihren Widerhall finden, er dringt
weiter in die Vergangenheit vor. Und gerade das macht ihn modern.

Archaische, ja kykladische oder kretische Bildwerke, die lange vor der
griechischen Hochkultur eigenständige Ausdrucksformen besassen, mögen ihm
eine Inspirationsquelle gewesen sein. Auch die Materialwahl vieler seiner
Plastiken, gebrannter roter Ton mit Engobe farblich gestaltet, knüpft an
diese frühen Kulturen an. Die wohl nicht gesuchte Ähnlichkeit mancher
Figuren, wie der "Marika", mit alten mexikanischen Werken sollte uns jedoch
vorsichtig werden lassen mit dem Aufzeigen von bestimmten Vorbildern.
Zuallererst ist Tembridis ein Künstler des 20. Jahrhunderts, der, und das
verbindet ihn mit den frühen, die Abstraktion als Mittel zur Steigerung des
Ausdrucks sucht. Und diese Ausdrucksteigerung kann einer Verdeutlichung,
aber auch einer Verästelung dienen.

Mit dem Rätsel spielt sein "Mann mit Maske", eine aus verschiedenfarbigen
Materialien collagierte Marmorskulptur. Hinter einer breitflächigen Maske,
die an antike Theatermasken erinnert, verbirgt sich ein verschlossen und
kontemplativ wirkendes Porträt. Die polierte Marmoroberfläche des Gesichtes
steht im Kontrast zu den unregelmässigen harten Meißelschlägen in der
Haarzone. Beim Umgehen der Plastik erschliesst sich die Janusköpfigkeit des
Mannes. Die Maske mit ihren durchbohrt scheinenden und damit durchsetzbaren
Augenlöchern verbirgt und enthüllt das Porträt in der Bewegung des
Betrachters.

Der Sage nach soll Prometheus den ersten Menschen aus Ton geformt und ihm
mit seinem Titanenatem Leben eingehaucht haben. Wenn in Tembridis
Terrakotten die Figur aus tönernen Säulen erwächst, ja manchmal selbst zum
Gerüst mutiert, dann ist dies eine Suche nach den komplizierten bindenden
Kräften in den Menschen, die die Beziehungen unter ihnen bestimmen:
Anziehung, Abstoßung, ruhende und aktivierte Energien. Dieses Wechselspiel
von organischen und statischen Momenten wird in seiner plastischen
Subtilität zuweilen von Brennspuren und sparsam verwendeten Farben
unterstrichen. Die von Jannulis Tembridis modellierten Metamorphosen aus
menschlichen Gestalten und architektonischen Elementen sind unverwechselbar
in ihrer persönlichen Formensprache. Oft scheinen Körperteile knospenartig
aus dem Ton herauszuwachsen, werden aber ebenso in eine kleine
Tonarchitektur als tektonische Elemente einbezogen, wie in der 1998
entstandenen Terrakotta Traumzeit. Versatzstuecke der Körper von Mann und
Frau präsentieren sich hier in unterschiedlichen Positionen: Die Wand
scheint Brüste zu bekommen und zieht die Blicke des auf gleicher Höhe
befindlichen Männerkopfes an. Eine erotische Beziehung wird durch
Blickbeziehungen und Körperlichkeit assoziiert. Auch der Schaffensprozeß
selbst kann, so scheint es, oft erotisch gefärbt sein - der Prozess des
Knetens und Körperformens, in vielen seiner Terrakotten noch ablesbar,
hätte bestimmt auch einem Pygmalion gefallen - Sie wissen, der Bildhauer,
der sich in seine Statue verliebte, bis diese vom Sockel stieg und sich in
Liebe mit ihm vereinte.

Die uns scheinbar so vertrauten Mythen Griechenlands spielen eine
Schluesselrolle im Schaffen von Tembridis. Doch sind sie ursprünglicher und
weniger unschuldig interpretiert als in unseren Schulbüchern: Kriegsgott
Ares und der Gott des Weines und des Rausches Dionysos haben bei ihm beide
etwas Unheimliches, Gewalttätiges. Spartanisch strenge Linien bei den einen
und von Ausschweifung gezeichnete Formen bei den anderen Dargestellten
lassen im Zusammenhang mit Schriftritzungen neue Interpretationen des
Mythos zu. So sitzt die "Königin der letzten Tage" lässig - provokant auf
ihrem Thron, keinesfalls als herkömmliche Repräsentantin.
Die Auseinandersetzung mit dem Mythos findet sich in dieser Ausstellung an
einer Terrakotta von 1993 mit ebendem Titel: Ein Mann postiert sich als
Dreiviertelfigur vor zwei aufgesockelten Gestalten - einer Frau und einem
auf doppeltem Postament stehenden Männertorso. Etwas beengt wirkt er, mit
nach vorn gezogenen Schultern. Sein nach oben gewandtes, breitflächiges
Gesicht scheint in innerer Konzentration zu verharren. Ist es der mit einem
Augenzwinkern betrachtete Künstler selbst, der zwischen Schöpfung und Muse
steht und sich bzw. den Mythos ironisch reflektiert?

Last but not least - nach den Tonobjekten noch ein Blick auf die grafischen
Bildwerke. In diesen spiegeln sich die Sujets der Plastiken wider. Die
Plastik selbst wird zum Thema der Arbeit mit Pinsel und Stift, ohne dass das
Bild unbedingter Bestandteil des skulpturalen Schaffensprozesses ist. In
den Bildwelten von Jannulis Tembridis ist kaum die Grossstadt zu finden,
dafür zeigen schmissige Farbarbeiten mit einer grosszügigen Palette und
einem kühnen und lebhaften Strich feinste Nuancierungen menschlichen
Miteinanders.

Am Ende gestatten Sie uns einen Vergleich: Eine Skulptur der Ausstellung
zeigt ein in erhöhter Position sitzendes Paar, das, so scheint es, sich in
völliger Konzentration aufeinander eingelassen hat. Weit unter ihnen, auf
niedriger Ebene, stürmt eine Dreiergruppe unter der Losung "Avanti
Dilettanti" im Sturmgleichschritt, ohne Blick auf die Erhobenen, an ihnen
vorbei. Wie diese beiden verschiedenen Personengruppen gibt es die zwei
Arten, sich einem Kunstwerk zu nähern. Nun lassen Sie uns, je nach
Temperament, stürmende "Dilettanti" oder achtsame "Conoscitori" sein.

 

Dionysos, Terrakotta,1996
Dionysos
Terrakotta, 1996

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